Die letzten Tage sind rückblickend gesehen wie ein Traum. Anfangs war ich mir noch gar nicht so sicher, was mich alles erwarten wird und einen gefühlten Wimpernschlag später klingelt mein Wecker und ich muss wieder zur Uni los. Zusammengefasst: Das war der Hammer!
Mittwochabend treffen wir auf dem Lagerplatz “New Hameln Creek” ein und keine zwei Schritte später quatscht mich eine mir völlig fremde Pfadfinderin eines mir völlig fremden Bundes an und beredet mit mir die Parksituation. Pfadfinderfeeling: Check. Nach der Anmeldung auf dem Platz teilen sich 14 Rotmilane auf in ihre Unterlager. Auf dem Lagerplatz befinden sich um eine große Wiese herum sechs Unterlager für die angereisten Goldschürfer*innen und ein riesiger Saloon, der in den künftigen Tagen den gängigen Abendtreff darstellt. Das siebte Unterlager “Ghost City” ist den teilnehmenden Helfern vorbehalten. Davon haben wir fünf mitgebracht und nachdem wir unter Umständen ein bisschen was an Jurtenmaterial daheim liegen gelassen haben, bauen wir dennoch erstmal unsere Kothe auf. Gleich darauf helfen wir noch anderen Gruppen, ihre Zelte aufzubauen und stellen den ersten großen Unterschied zwischen uns und gefühlt dem Rest der deutschen Pfadfinderschaft fest: Kothen mit nur einer Zeltstange. Das ist bei anderen Bünden derart unüblich, dass wir häufiger Mal unseren Senf zu eben diesem Problem abgeben müssen. Gibt es heute Abend wohl noch was spannendes? Wissen wir nicht, also erstmal was zu Essen suchen. Es ist Reis mit Tomatensoße. Mir ist im ersten Moment zwar nicht klar, wer auf diese komische Idee kam, aber instantan kommen mir die grausigen Bilder des Essens der letzten DPV-Aktion in den Kopf. Es schaudert mir bei dem Gedanken und vor allem bei den ersten Löffeln des mir vorgesetzten Gerichts. Egal, denke ich mir und ziehe mir in vollem Genuss endlich zwei riesige Portionen rein. Jetzt erstmal schlafen und den Lagerplatz vollständig erst bei Sonnenlicht betrachten. Bisher habe ich das Gefühl, dass doch gar nicht mal so viele Leute hier sind.
Ich wache auf, denke mir nichts böses und wir fünf Helfer machen uns zum Waschen fertig. Aus der Kothe aufgestanden, erblickt man zwar enorm viele Schwarzzelte, aber bisher ist noch kein Grund zur Sorge, viele Seelen lassen sich nicht blicken. Klar, wenn die Helfer auch jeden Morgen früher aufstehen als die Teilnehmer. Erst im Anfangskreis wird mir das Ausmaß des Lagers richtig bewusst. Über 1000 Pfadfinder*innen aus ganz Deutschland stehen in einem derartig großen Kreis zusammen, dass die große Versammlungswiese komplett umstellt wird von Pfadfinder*innen jeglichen Alters und jeglicher Herkunft. Abgefahren! Jetzt kommt das Lager richtig ins rollen. Don Oró hat uns schließlich zum Goldschürfen eingeladen, um reich zu werden. Passend wie Cowboys und Mexikaner gekleidet, sind wir bereit in diversen Aktionen zum Erfolg dieses Unterfangens beizutragen.

So startet der Tag damit, die Unterlager zu gestalten, Lagerschilder und Fahnen zu erschaffen, Lichter und Girlanden fertig zu machen und das Lager zu schmücken. Fast jeder startet mit seinen ersten 3$ (selbstverständlich keine realen Dollar) und verzockt diese sogleich beim Schnick-Schnack-Schnuck oder lässt sich von betrügerischen Gestalten übers Ohr hauen. Manche sind sogar so reich zu Beginn, dass sie einen 5$-Schein besitzen. Anschließend geht es zum Goldschürfen; Niklas, David und ich verkaufen als Notare Lizenzen an die Goldgräber*innen für Suchgebiete auf begrenzte Zeit und treten dabei in unglaublich spannende Verhandlungen, die mal mehr, mal weniger absurd oder logisch waren. Insgesamt versorgen wir so innerhalb von knapp 30 Minuten etwa 400 Goldschürfer*innen mit den für sie passenden Lizenzen und freuen uns wie Könige, dem Ansturm gerecht geworden zu sein. Bis zu dem Moment als die ersten Gruppen zurückkamen und darüber philosophierten, in welcher Reihenfolge wir gelyncht gehören, weil wir Lizenzen für Gebiete verkauft haben, die angeblich komplett leergegrast seien. Wichtige Anmerkung: Wir haben absolut keine Ahnung, wie viel Gold wo liegt und wer wann wo ist. Wir verkaufen nur die Lizenzen, der Rest ist anderen Menschen überlassen. Es werden nun also nicht nur ausgiebige Preisverhandlungen, sondern vor allem Rückerstattungs- und Entschädigungsverhandlungen geführt. Um das Problem etwas verständlicher darzulegen, eine kleine Milchmädchenrechnung (ferner man das heutzutage noch sagen darf…): 400 Pfadfinder*innen in 10er Gruppen ergibt 40 Gruppen. Es gab fünf Arten von Lizenzen. Unter der Annahme, dass sich die Gruppen gleichmäßig aufteilen sind das also acht Gruppen pro Suchgebiet. Ich hoffe, dass hieraus leicht ersichtlich wird, dass spätestens die vierte Gruppe kein Gold mehr bekommt. Unabhängig davon ging die Zeit schnell herum und einige Gruppen konnten sehr viel Geld machen und jeden ihrer Teilnehmer mit etwa 50$ ausstatten. Heute Abend kann also ausgiebig im Saloon gefeiert werden. Die erste Singerunde. 400 anwesende Pfadfinder*innen, acht Gitarrist*innen, ein Feuer. Ich werde es niemals schaffen, in Worte zu fassen, wie es sich da angefühlt hat, seine liebsten Pfadilieder zu singen. (Das gibt es nun jeden Abend!).

Eigentlich wollen wir gleich wieder zum Goldschürfen los, das kann gestern nicht alles gewesen sein, nur zieht gerade eine große Horde Schausteller*innen in das Lager ein, wodurch ein großer Jahrmarkt entsteht und alle darauf bedacht sind, an den vielen Markständen ihr großes Geld zu machen. Ob im Saloon beim Glücksspiel oder draußen beim Witze erzählen, ringen oder was es sonst noch so gibt, kriegen die Leute das Dollarzeichen nicht mehr aus den Augen. Die Schausteller*innen scheinen wohlhabende Menschen zu sein und bereitwillig ihr Geld an die Teilnehmer zu geben. Das lässt den Überfall auf die Postkutsche heute morgen in Vergessenheit geraten. Der Wirt verpasst seinen Moment nicht und verzehnfacht daraufhin die Preise im Saloon. Ist gerade der Wohlstand ausgebrochen? Müssen wir je wieder Gold schürfen? Falschgeld! Chaos. Manche fangen an, ihr Geld zu verbrennen oder es zum Nase abputzen zu nehmen. Was ist gerade passiert? Was soll das mit dem Falschgeld? Aber es gab vorher doch echtes Geld. Panik. Die Menschen sind blind. Eigentlich sollten sie 5000$ für ihr Unterlager zusammentreiben und doch hat es kein Lager geschafft, jetzt soll Falschgeld im Umlauf sein, aber kaum einer macht sich Gedanken darüber, herauszufinden, welche seiner Banknoten echt und welche falsch ist. Die Blüten sind doch leicht zu erkennen, oder etwa nicht? Mittagessen. Ich kann nicht glauben, was gerade passiert ist. Wir müssen nun herausfinden, wer hinter dem Falschgeld steckt. Hingegen Sven und David sich als Mexikaner (entschuldigung. Mittlerweile politisch korrekt “Kaktusfarmer”), Justus als jemand nach zu viel Apfelschorle und Niklas sich als Zocker dem großen Suchspiel hingeben, bin ich eher aufgabenlos und bringe die Goldschürfer*innen dazu, sich Teamaufgaben zu stellen. Oder eher gesagt mein Zwilling Nigel, aber das ist eine andere Geschichte. Schnell ist klar, die Täter sind DonOro und sein Gefolge, doch erstmal essen, bevor man sich dieses Packs annimmt. Das Essen ist bis zum Schluss zunehmend besser geworden und gipfelt später in einem wahren Festmahl. Was nun? Maskierte, dunkel gekleidete Banditen stürmen aus allen Himmelsrichtungen den Lagerplatz, haben Fackeln in den Händen und schießen wild in die Luft. Die brennen die Bank nieder, klauen das gesamte Geld und nehmen Bankier, Küchenteam und weitere Geiseln. Keine zwei Minuten später ist alles vorbei und noch ist sich niemand sicher, was genau gerade passiert ist. Heute Abend geht es in den Wald die Geiseln retten. Doch die Wälder sind bewohnt von nicht lebenden Wesen und abtrünnigen Banditen. Freude kommt auf.
Die drückende Hitze bringt mich zum Aufstehen und Waschen, Geiseln sind gerettet, es leben alle; es läuft wie geschmiert für uns. Heute geht es zu Verhandlungen mit DonOro, der das Land verlassen möchte, wenn wir ihn dafür entlohnen, also alle wieder in den Wald und das Rätsel lösen. Ich habe meinen Hut verloren beim Durchstreifen des Dickichts und bitte die Goldgräber*innen, ihn mir wiederzubringen. Dafür zeige ich ihnen auch meine Tattoos an beiden Armen, weil sie die anscheinend brauchen, um herauszufinden, wo die Übergabe stattfinden wird und wie sie an das benötigte Gold kommen. Immerhin habe ich meinen Hut wieder und mache mich zur Übergabe auf. Der Sheriff ist jedoch gar nicht an einer Übergabe interessiert, sondern an einer Festnahme von DonOro, damit er in New Hameln Creek dem Gericht vorgeführt und einen fairen Prozess erhalten kann. Alles läuft gut, dann Schüsse, einer geht zu Boden, sie versuchen das Gold zu stehlen, epischer Kampf zwischen Sheriff und DonOro und zack! Die Gerechtigkeit siegt und hunderte Goldgräber*innen feiern den Sieg über DonOro. Auf geht es zurück nach New Hameln, um sich auf den Prozess vorzubereiten. Dieser ist hitzig, viele wollen etwas sagen, DonOro wird aufmüpfig, was schnell geklärt wird. Sein eigener Anwalt kehrt ihm den Rücken, es kommt zum Urteil: Lebenslänglich im Gefängnis. Der restliche Tag vergeht wie im Flug. Durch den Sieg über DonOro und den Kapitalismus, wird im Saloon alles gratis augeschenkt. Der restliche Tag entspricht der gleichen Festivalstimmung wie der gestrige nach dem Jahrmarktgeschehen. Die Grenzen zwischen den Lagern verwischen endgültig, alle feiern die Sonnenstrahlen ausgiebig, ob beim Singen in der Sonne, dem Impro-Theater, dem Fußball oder Flag-Football oder bei lockeren Gesprächen mit einem kühlen Getränk, das der Wirt freudig “Flüssigdiabetes” nennt. Nun findet die letzte Singerunde statt, der Saloon ist voller denn je, die Stimmung ist an ihrem Hochpunkt. Was soll jetzt noch geschehen, wo alle ihren Reichtum in der Gemeinschaft und dem Glück, zusammen eine derartig geile Zeit zu erleben, gefunden haben? Achja, richtig:

Drückende Hitze. Ich fühle mich fertiger denn je, weiß noch gar nicht, wo das herkommt und stehe auf zum Waschen gehen. Da fällt es mir wieder ins Auge: 1000 Pfadfinder*innen machen sich bereit, den riesigen Platz in kürzester Zeit abzubauen, alles zu verstauen, aufzuräumen und nach einer elendig langen Müllkette, den Platz müllfrei zu hinterlassen. Ich bin fassunglos, wie wir mal eben in knapp zwei Stunden alles erledigt haben und wie wir Rotmilane einen nicht überschaubaren Berg Lebensmittel vor dem Müll retten konnten, die wir bald beim Roverlauf verwenden können. 1000 Menschen singen “Nehmt Abschied Brüder”. Allzeit Bereit. Ende. Ich stehe da und versuche zu realisieren, dass es wirklich schon vorbei ist und was ich in den letzten Tagen alles an nicht vergleichbaren Eindrücken und Erfahrungen gesammelt habe, wie viele schöne Gespräche ich mit unzählig interessanten Menschen geführt und neue Kontakte geknüpft habe mit Menschen aus allen Himmelsrichtungen. Es klingelt. Ich schaue auf mein Handy und frage mich, warum ich so fertig bin. 7:30h, fertig machen für die Uni. Achja: Die letzten fünf Tage war DonOro. Schon stehe ich mit einem Lachen auf und erinnere mich daran, was die Menschen, denen ich gleich begegnen werde, verpasst haben und wie verwirrt sie mich ansehen werden, wenn ich ihnen erzähle, was für eine unbeschreiblich schöne Zeit wir alle auf dem Lager verbracht haben.