Sexualisierte Gewalt – insbesondere, aber nicht nur – gegenüber Kindern und Jugendlichen ist kein Phänomen bedauerlicher Einzelfälle, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Diese bittere Erkenntnis hat sich spätestens seit den Enthüllungen um den jahrzehntelangen systematischen Missbrauch von Internatsschülern und -schülerinnen der Odenwaldschule 2010[1] und dem seither regelmäßigen Bekanntwerden immer neuer Missbrauchsskandale in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen durchgesetzt. Für die Pfadfinder*innenbünde im DPV steckt darin die so simple wie schwer auszuhaltende Botschaft: Wir sind Teil dieser Gesellschaft, es betrifft auch unsere Arbeit! Als Konsequenz daraus rief der DPV 2016 das Präventionsnetzwerk ins Leben, einen Zusammenschluss von (ehrenamtlichen) Experten*innen aus allen Mitgliedsbünden. Gemeinsam erarbeitete das Netzwerk das Interventionskonzept für Fälle sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch auf Verbandsveranstaltungen, das im September 2018 von der Mitgliederversammlung beschlossen und auf der gemeinsamen Sippenaktion „Goldader – Don Oro lädt ein“ im Mai 2019 zum ersten Mal umgesetzt wurde. In diesem Artikel möchte ich die von uns ergriffenen Maßnahmen vor dem Hintergrund der Bedeutung des Themas für die Arbeit im DPV beleuchten.
Grenzverletzung, Übergriff, Missbrauch – worum geht es eigentlich genau?
Bei dem Thema sexualisierte Gewalt drohen gerade im pädagogischen Kontext Grenzen zu verschwimmen. Klare Begriffsdefinitionen sind ein erster Schritt für einen angemessenen Umgang damit, der weder von Hysterie noch von Relativierung geleitet ist.[2]
Jeder Mensch hat individuelle persönliche Grenzen. Die unbeabsichtigten Verletzungen dieser Grenzen sind im menschlichen Miteinander nicht immer zu vermeiden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass persönliche Grenzen stark vom subjektiven Erleben eines Menschen und nicht nur von objektiven Faktoren abhängen. Grenzverletzungen können alters- und geschlechtsunabhängig in allen Formen menschlicher Beziehungen auftreten, das heißt grenzverletzend können sich sowohl erwachsene oder jugendliche Leitungen als auch Gleichaltrige untereinander verhalten. Entscheidend sind in diesem Zusammenhang vor allem der respektvolle und achtsame Umgang miteinander, die Möglichkeit für Betroffene, grenzverletzendes Verhalten zu benennen und eine Korrektur sowie das Vermeiden zukünftiger Grenzverletzungen zu erfahren.
Ein sexueller Übergriff unterscheidet sich von der Grenzverletzung im Wesentlichen durch absichtsvolles Handeln der grenzverletzenden Person, das entweder durch persönliche oder grundlegende fachliche Defizite verursacht wird und sich bspw. durch wiederholte Grenzverletzungen ohne Einsicht eines Fehlverhaltens zeigt.
Sexueller Missbrauch umfasst alle Handlungen, die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung einer Person nach §§ 174-184 StGB betreffen.
Sowohl Übergriff als auch Missbrauch verstehen wir als sexualisierte Gewalt, das heißt eine individuelle, alters- und geschlechtsunabhängige sexuelle Handlung, die gegen den Willen der*des Betroffenen veranlasst wird, oder der er*sie aufgrund körperlicher, seelischer oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Sexualität ist also das Mittel dieser Gewaltausübung.
Wir gehen davon aus, dass unter 14-Jährige sexuellen Handlungen grundsätzlich nicht zustimmen können und diese immer als sexuelle Gewalt zu werten ist, selbst wenn sie einer Handlung zustimmen. Insbesondere im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen nutzen Täter*innen ihre Macht- oder Autoritätsposition aus, um die eigenen Bedürfnisse auf Kosten des*der Betroffenen zu befriedigen.
Ausmaß, Täter*innen und Folgen: Warum ist das Thema für uns von Bedeutung?
Die polizeiliche Kriminalstatistik erfasste 2018 insgesamt 63.782 Fälle von „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“. Darunter sind über 12.000 Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs (§§ 176, 176a, 176b StGB), über 600 Fälle sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und knapp 7500 Fälle sogenannter Kinder- und Jugendpornografie.[3] Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich deutlich darüber, da bei weitem nicht alle Fälle zur Anzeige gebracht werden. Das hat verschiedene Ursachen. Allein Scham- und Schuldgefühle vieler Betroffener führen häufig dazu, dass sie ihre Missbrauchserlebnisse über Jahre oder Jahrzehnte hinweg niemandem erzählen (können). Die Wissenschaft erforscht daher seit einigen Jahren auch das Dunkelfeld. Ihre Ergebnisse deuten an, dass in Deutschland etwa eine Million Minderjährige von sexueller Gewalt betroffen sind. Oder anders ausgedrückt: Jede*r Siebte bis Achte hat in Deutschland in Kindheit und Jugend sexuelle Gewalt erlebt. Das wäre im Schnitt etwa ein Kind pro Pfadfindergruppe.[4] Dabei müssen wir uns von dem Mythos des Mitschnackers befreien. Sexuelle Gewalt durch Fremdtäter*innen ist die Ausnahme. Gegenüber Kindern und Jugendlichen findet sie am häufigsten in der engsten Familie (ca. 25%) und im sogenannten sozialen Nahbereich statt (ca. 50%). Dazu gehören alle Menschen, die das Kind gut kennen, also neben dem erweiterten Familien- und Bekanntenkreis auch Lehrer, Nachbarn oder Personen aus Einrichtungen oder Vereinen, sprich: Auch aus Pfadfinderbünden.[5] Täter*innen können Erwachsene und Jugendliche unabhängig ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihres sozialen Status oder äußerer Merkmale sein. Es gibt kein einheitliches Täter*innenprofil. Das Motiv, Macht auszuüben, sich überlegen zu fühlen, scheint zentral zu sein. Sexuelle Handlungen sind das Mittel des Machtmissbrauchs. Pädosexuelle Orientierungen spielen dagegen eine eher untergeordnete Rolle.[6] Das konkrete Ausmaß sexueller Gewalt innerhalb der Pfadfinderszene kann aufgrund mangelnder Untersuchungen nicht beziffert werden. Es steht jedoch zu vermuten, dass die verfügbaren Statistiken auf Pfadfinderbünde übertragen werden können. In den überregionalen Medien bekanntgewordene Fälle, Berichte einzelner Betroffener sowie die begonnene Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der gut 100-jährigen Geschichte in der Pfadfinder- und Jugendbewegung in Deutschland bekräftigen das – heute ist klar, dass einige der schillerndsten Figuren und Vorbilder der Deutschen Jugendbewegung Täter und einige ihrer zentralen Treffpunkte Tatorte waren.[7] Allein die Geschichte der Bewegung, der wir uns zugehörig erklären, verpflichtet uns zur Verantwortungsübernahme.
Der Bedeutung von Missbrauchserfahrungen für die Betroffenen kann ich in diesem Artikel mit knappen Erläuterungen nicht gerecht werden. Nur so viel: Die Folgen sind für Betroffene sehr verschieden, können mitunter aber dramatisch sein. Die Worte unseres Bundespräsidenten vermitteln einen wagen Eindruck der Perspektive Betroffener und unterstreichen nochmals die große Bedeutung, die ein angemessener Umgang mit dem Thema hat: „Nicht die Einsamkeit schreckt uns ja, die wir auch selbst wählen können, sondern die Angst, verlassen zu sein. Und zu keiner Zeit unseres Lebens ist diese Angst tiefer als in der Kindheit. Eben diese existenzielle Not erfährt ein Mensch, der sexuell missbraucht wird. Wer das als Kind erleidet, dem wird diese Not oft zu einer Bedrohung, die ein ganzes Leben überschatten kann. Sich niemandem anvertrauen zu können, weil der Täter oder die Täterin ein naher, nächster Angehöriger ist, eine Autorität, Priester, Lehrer oder Sporttrainer. Nicht sprechen zu können, weil das Erlebte unsagbar ist, ist grausam und zerstörerisch […]. Das Schweigen zu brechen, erlittenes Leid anzuerkennen und den Betroffenen eine Stimme zu geben, kann nicht nur helfen, Traumata zu bewältigen. Die gesammelte Erfahrung hilft auch, Kinder zu schützen und dem Missbrauch vorzubeugen“ (Frank-Walter Steinmeier).[8]
Wie nah ist zu nah? Vertrauen, pfadfinderisches Selbstbewusstsein und Missbrauch
Zugegeben: Als ich das erste Mal von sexualisierter Gewalt in Pfadfinderbünden hörte, war ich schockiert. Gleichzeitig war ich überzeugt: Bei uns, in meinem Bund, könne so etwas niemals vorkommen. Ich war damals Anfang zwanzig und im Vorstand meines Bundes. Mein Vertrauen in diese einzigartige und ausgewählte Bundesgemeinschaft war riesig und ebenso mein Selbstbewusstsein, ein Teil von ihr zu sein. Die Vorstellung, jemand könne dieses Vertrauen für die Befriedigung eigener Bedürfnisse missbrauchen, war für mich mit dem Selbstverständnis meines Bundes unvereinbar. Seitdem habe ich mich intensiv mit sexualisierter Gewalt in der Jugendverbandsarbeit und speziell in Pfadfinder*innenbünden beschäftigt. Heute weiß ich, dass ich damals falsch lag: Unreflektiertes Vertrauen und Selbstbewusstsein bieten keinen Schutz, sondern im Gegenteil ein täter*innenfreundliches Umfeld. Erst Anfang dieses Jahres erschien das Ergebnis einer sozialpsychologischen Studie zu den Missbrauchsfällen an der Odenwaldschule. Diese Ergebnisse sind für unsere Arbeit nicht zuletzt deswegen relevant, weil ein erheblicher Anteil der Täter einen jugendbewegten Hintergrund hatte.[9] Unter den strukturellen und kulturellen Bedingungen, die den jahrzehntelangen Missbrauch an dem reformpädagogischen Vorzeigeinternat der Studie zufolge ermöglichten, lassen mich drei Punkte besonders aufhorchen. In der Odenwaldschule spielte ein „Bewusstsein von Elite“ eine wichtige Rolle.[10] Die Qualität der eigenen pädagogischen Arbeit wurde nach außen und innen überhöht, fachlicher Austausch über die Grenzen der eigenen Schule hinaus wurde nicht für notwendig erachtet und wer diese Kultur nicht mittrug, verließ die Schule früher oder später. Die Autoren*innen erkennen darin „ein hohes Risiko zur Entwicklungsresistenz“, die letztlich den Missbrauch ermöglichte und dessen Aufdeckung verhinderte.[11] Weiterhin genoss das pädagogische Konzept der Odenwaldschule von vielen Seiten einen „kaum antastbare[n] Vertrauensvorschuss“.[12] Vorhandenen Hinweisen durch Betroffene und Verdachtsmomenten durch eigenes Erleben wurde unter Verweis auf die hohe Reputation der Institution nicht nachgegangen, teils wurden sie gar verleugnet. Das eröffnete den Tätern große Handlungsfreiräume. Beide Punkte tragen zum dritten bei: Es fand kaum offene Auseinandersetzung über das Nähe- und Distanzverhältnis in der Gestaltung pädagogischer Beziehungen statt, die sich ebenso wenig an einem klaren Regelwerk orientierten.[13]
Was können wir daraus lernen? Unsere pfadfinderisch-bündische Pädagogik lebt von den engen Beziehungen innerhalb eigenständiger Kleingruppen und dem großen Vertrauen, das wir bereits jungen Gruppenleitungen im Rahmen unserer lange tradierten Strukturen und pädagogischen Handlungsweisen entgegenbringen. Ich betrachte gerade dieses Prinzip als eine wesentliche Stärke unserer Arbeit. Allerdings sollten wir lernen, ungeschriebenen Gesetzen und Tradiertem noch stärker eine Praxis der kritischen Reflexion und des offenen Austausches gegenüberzustellen. Dazu gehört genauso, ab und zu auf Distanz zu unserem etablierten bündischen Selbstbewusstsein zu gehen und sich für einen Blick über den Tellerrand zu öffnen, wie kritische und hilfesuchende Stimmen innerhalb unserer Bünde wahr- und ernst zu nehmen. Was wir auf diesem Weg in den letzten Jahren bereits gelernt haben: Unsere Pfadfinder*innengesetze sind zwar eine tolle Grundlage, reichen als Regelwerke für unsere Gemeinschaften aber nicht aus. Für den Schutz unserer Mitglieder brauchen wir klare, verbindliche und schriftlich fixierte Umgangsregeln, deren Einhaltung jede*r einfordern darf. Um das wirklich allen zu ermöglichen, müssen wir zum Teil auch neue Strukturen schaffen.[14]
Was können wir also tun? Das Schweigen brechen!
Sexualisierte Gewalt wird in unserer Gesellschaft nach wie vor tabuisiert. Johannes-Wilhelm Rörig, der Unabhängige Beauftragte für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung formulierte es 2019 so: „Es gibt wohl kein Themenfeld, das persönlich, gesellschaftlich und politisch schwerer anzusprechen und zu kommunizieren ist als sexueller Kindesmissbrauch. Wegschauen und Verdrängen sind nach wie vor weit verbreitet. Leider verstecken sich viele, die verantwortungsvoll handeln müssten, noch immer hinter dem Tabu.“[15] In der Pfadfinder- und Jugendbewegung wurde in den vergangenen Jahren vieles unternommen, um dieses Schweigen zu brechen, hinzuschauen, auch wo es weh tut, hinzuhören, wo Betroffene sich mitteilen wollen, ihnen Unterstützung anzubieten und sexuelle Gewalt in den eigenen Strukturen in Zukunft so gut wie möglich zu verhindern. Exemplarisch dafür stehen die Gründung des Arbeitskreises „Schatten der Jugendbewegung“ auf der Jugendburg Ludwigstein 2010[16] und des überbündischen Präventionsnetzwerks „Tabubruch“ im Jahr 2012[17] sowie die Erarbeitung von Schutzkonzepten und die fachliche Aus- und Fortbildung der ehrenamtlichen Jugendgruppenleitungen in Kooperation mit Fachberatungsstellen in nahezu allen Pfadfinder*innenbünden und -verbänden. Seit dem Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes 2012 sind ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter*innen von Jugendverbänden überdies durch Vereinbarungen zwischen den Bünden und den lokalen Jugendämtern zur regelmäßigen Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses als Voraussetzung für ihre Tätigkeit verpflichtet. Diese Maßnahme bietet allerdings nur scheinbare Sicherheit, trifft man mit ihr doch lediglich bereits vorbestrafte Wiederholungstäter. Entscheidend ist vielmehr die strukturelle Präventionsarbeit in den Bünden, das Schaffen einer Kultur der Grenzachtung, des respektvollen, achtsamen Umgangs miteinander und die Möglichkeit, sich innerhalb und außerhalb der Bünde Rat und Hilfe zu holen und vor allem: Die offene und kritische Auseinandersetzung und Reflexion von Strukturen und des pädagogischen Handelns innerhalb der Bünde.
Der DPV als Dachverband eigenständiger Bünde: Das Interventionskonzept für gemeinsame Veranstaltungen.
Der DPV nimmt als Dachverband in Bezug auf dieses Thema eine Sonderrolle ein. Mitglieder des DPV sind die eigenständigen Bünde, keine Einzelpersonen. Im Gegensatz zu seinen Mitgliedsbünden findet auf Ebene des DPV also keine kontinuierliche regelmäßige Gruppen- und Fahrtenarbeit statt. Er ist vielmehr durch gemeinsame Großveranstaltungen der einzelnen Bünde mit größeren Zeitabständen (in der Regel mehrere Jahre) und Vernetzung auf Vorstandsebene und zu Fachthemen geprägt. Dies hat dazu geführt, dass der DPV als Verband – wenngleich er auch zu dem Thema der sexualisierten Gewalt früh als Plattform für fachlichen Austausch zwischen den Bünden diente – erst 2016, also vergleichsweise spät, mit der Entwicklung struktureller Maßnahmen zur Prävention von und Intervention bei Fällen sexualisierter Gewalt begann. Seine Mitgliedsbünde hatten in weiten Teilen mit der Entwicklung von Schutzkonzepten zu diesem Zeitpunkt begonnen oder diese bereits eingeführt. Das Präventionsnetzwerk begab sich in der Folge in einen intensiven beinahe zweijährigen Erarbeitungsprozess. Zu Beginn standen zwei Fragen: Welche Maßnahmen können und müssen wir ergreifen, um die Teilnehmer*innen unserer Veranstaltungen vor sexualisierter Gewalt zu schützen? Und wie können wir unsere ehrenamtlichen Strukturen für einen angemessenen Umgang mit Betroffenen und die Bearbeitung von Fällen aufstellen? Recht schnell wurde klar, dass für den DPV aufgrund seines Dachverbandscharakters ein eigenes Präventionskonzept nicht sinnvoll wäre. Viel wichtiger war die Frage, wie wir auf den gemeinsamen Veranstaltungen sicherstellen, dass für eine Kultur der Grenzachtung sensibilisiert wird und Betroffene von Grenzverletzungen jeder Art – unabhängig von ihrem Bund – eine Anlaufstelle haben, an die sie sich wenden können, wo sie das Schweigen brechen können und Unterstützung erfahren. Diese Anlaufstelle sollte mit allen denkbaren Fällen kompetent umgehen (oder eben: intervenieren) können und dies nach transparenten Verfahrensweisen tun, die die Eigenverantwortung der Bünde für ihre Mitglieder nicht untergraben. Im Ergebnis bedeutete das ein Interventionskonzept. Dieses beruht auf drei Säulen: 1. Jede Großveranstaltung im DPV wird von einem Interventionsteam aus allen teilnehmenden Bünden begleitet, das verbindliche Umgangsregeln formuliert und kommuniziert und eine Anlaufstelle für Betroffene von Grenzverletzungen jeder Art bietet. 2. Bei jedem Fall von sexualisierter Gewalt auf einer DPV-Veranstaltung wird ein Krisenteam gebildet, das für die Bearbeitung des Falles vor Ort zuständig ist und sicherstellt, dass der Fall auch im Anschluss an die Veranstaltung angemessen weiter bearbeitet wird. Das Krisenteam des DPV entscheidet im Einzelfall, ob und ggf. ab welchem Zeitpunkt die Bearbeitung innerhalb der Strukturen beteiligter Bünde angemessen bearbeitet und an diese abgegeben werden kann. 3. In jedem Fall von sexualisierter Gewalt auf DPV-Veranstaltungen wird zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Beratung von Fachberatungsstellen hinzugezogen.
Die lange Entwicklungsdauer des recht simpel wirkenden Konzepts mag auf den ersten Blick unverhältnismäßig scheinen. Auf den zweiten Blick offenbart sich jedoch, dass gerade der intensive und langfristige Austausch im Präventionsnetzwerk und mit den Bundesführungen notwendig war, um nicht nur irgendein Konzept auf dem Papier zu fixieren, sondern ein den Strukturen angepasstes Konzept in der Arbeit des Verbands zu verankern. Darüber hinaus lieferte der Prozess wichtige Impulse für die Entwicklung der Präventionsarbeit in den Bünden. Zu diesem Zweck wird das Präventionsnetzwerk im DPV auch weiterbestehen, nachdem das Konzept 2018 beschlossen wurde.
Bis hier hin. Und wie weiter?
Mit der Entwicklung und Einführung des Interventionskonzepts und des Präventionsnetzwerks haben wir wichtige Schritte auf dem Weg zum Schutz unserer Mitglieder vor sexualisierter Gewalt unternommen. Die Erfahrungen aus der Umsetzung des Konzepts auf der Sippenaktion und dem „schall&rauch“ Festival (in Kooperation mit dem BdP)[18] bestätigen diesen Eindruck. Unsere Interventionsteams haben Fragen vieler Interessierter beantwortet, Rat gegeben, sie boten Anlass für lobende und kritische Gespräche über unseren Umgang mit dem Thema und dem in den Bünden. Und wir konnten Betroffenen Unterstützung bieten.
Die Zukunft wird zeigen, ob unser Konzept der Weisheit letzter Schluss ist – wahrscheinlich nicht – oder an welchen Stellen wir es weiterentwickeln können. Es ist eine schöne Perspektive und Motivation, dass unsere Arbeit dazu beiträgt, dass in Zukunft noch mehr Menschen frei von Gewalt von den vielen positiven Seiten der Pfadfinderei profitieren können. Womöglich, bis dereinst unsere Arbeit gar nicht mehr nötig ist. Bis dahin liegt noch ein langer und herausfordernder Prozess vor uns, dem wir uns jetzt endlich stellen.
Wenn du selber Hilfe brauchst: Hilfe holen ist kein Petzen und kein Verrat!
Du bist selber von sexualisierter Gewalt betroffen? Du bist Freund*in oder Angehörige*r oder wurdest von einem*r Betroffenen ins Vertrauen gezogen und weißt nicht, wie du damit umgehen sollst? Du darfst dir jederzeit Rat und Hilfe holen!
Hilfetelefon Sexueller Missbrauch (kostenfrei & anonym): 0800-22 55 530, Sprechzeiten: Mo, Mi, Fr: 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr; Di, Do: 15.00 Uhr bis 20.00 Uhr
In Fachberatungsstellen arbeiten speziell ausgebildete Pädagogen*innen, Psychologen*innen und Therapeuten*innen, die dir vertraulich Beratung und Unterstützung anbieten. Hier findest du Fachberatungsstellen in deiner Nähe: https://www.hilfeportal-missbrauch.de/startseite.html
Als Pfadfinder*in im DPV kannst du dich natürlich auch an unser Präventionsnetzwerk wenden. Hier findest du ehrenamtlich engagierte und in diesem Rahmen fortgebildete und erfahrene Pfadfinder*innen aus den DPV-Bünden: https://dpvonline.de/praeventionsnetzwerk/
Oder wende dich an die Mitglieder vom Arbeitskreis Tabubruch: https://www.tabubruch.org
[1] Bereits 1999 wurden Anschuldigungen Betroffener, die in den 1970er und 1980er Jahren unter dem Schulleiter Gerold Becker die Schule besuchten, in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht. Ein größeres Echo in der öffentlichen und der schulinternen Auseinandersetzung blieb damals jedoch aus. Erst als sich Betroffene 2010 mit der Frage an die damalige Schulleitung wendeten, wie die Odenwaldschule gedenke anlässlich ihres bevorstehenden 100. Jubiläums mit der eigenen Missbrauchsgeschichte umzugehen, setzte ein zögerlicher Aufklärungsprozess ein, der alsbald ein breites Medienecho fand.
Frankfurter Rundschau vom 09.03.2010: https://web.archive.org/web/20100309094726/http://www.fr-online.de/top_news/2388381_Im-Wald-Skandal-an-der-Odenwaldschule.html, abgerufen am 23.08.2019.
[2] Im DPV arbeiten wir mit Definitionen, die sich orientieren denen des unabhängigen Beauftragten für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung einerseits und an denen der Fachberatungsstelle Zartbitter e.V. andererseits orientieren.
Unabhängiger Beauftragter für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung:
https://beauftragter-missbrauch.de/praevention/was-ist-sexueller-missbrauch/definition-von-sexuellem-missbrauch, abgerufen am 23.08.2019.
Beratungsstelle Zartbitter e.V.: https://www.zartbitter.de/gegen_sexuellen_missbrauch/Fachinformationen/6005_missbrauch_in_der_schule.php, abgerufen am 23.08.2019.
[3] Polizeiliche Kriminalstatistik 2018, Band 4, V 1.0: https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2018/pks2018_node.html;jsessionid=0AE0D4782BB4E101EE7B51B9F5E9A763.live2302, abgerufen am 20.08.2019
[4]Faktenblatt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung: https://beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Pressemitteilungen/2017/05_Oktober/6_Fact_Sheet_Zahlen_Ausma%C3%9F_sex_Gewalt.pdf, abgerufen am 20.08.2019.
[5] Faktenblatt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung: https://beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Pressemitteilungen/2017/05_Oktober/6_Fact_Sheet_Zahlen_Ausma%C3%9F_sex_Gewalt.pdf, abgerufen am 20.08.2019.
[6] Faktenblatt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung: https://beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Pressemitteilungen/2017/05_Oktober/6_Fact_Sheet_Zahlen_Ausma%C3%9F_sex_Gewalt.pdf, abgerufen am 20.08.2019.
[7] Vgl. u.a. Stichwort – Die bündische Themenzeitschrift, Verlag der Jugendbewegung GmbH, Berlin, Heft 202/2016; Widdershoven, Almut 2019: Ohne vorgehaltene Hand. Netzwerke sexuellen Missbrauchs in der deutschen Pfadfinder- und Jugendbewegung, Königswinter: S. 149-153.
[8] Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs 2019: Bilanzbericht, Band 1: S. 2.
[9] Füller, Christian 2011: Sündenfall: Wie die Reformschule ihre Ideale missbrauchte.
[10] Keupp et al. 2019: Die Odenwaldschule als Leuchtturm der Reformpädagogik und als Ort sexualisierter Gewalt. Eine sozialpsychologische Perspektive, Wiesbaden: S. 341.
[11] Ebd. S. 342-342.
[12] Ebd. S. 404.
[13] Ebd. S. 405.
[14] Hier findest du die Umgangsregeln, die wir im DPV für die Sippenaktion „Goldader – Don Oro lädt ein“ 2019 entwickelt haben: Siehe Abbildung 1.
[15] Bilanzbericht der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs 2019, Band 1: S. 4.
[16] Homepage des Arbeitskreises „Schatten der Jugendbewegung“: https://www.jubi-ludwigstein.de/praevention/ak-schatten-der-jugendbewegung/, abgerufen am 20.08.2019.
[17] Homepage des Netzwerks „Tabubruch“: https://www.tabubruch.org/, abgerufen am 20.08.2019.
[18] Das „schall&rauch“ Festival haben wir mit einem Awareness-Team begleitet. Infos dazu auf der Homepage des Festivals unter FAQ: https://schall-rauch.rocks/faq/, abgerufen am 23.08.2019.